Für die Mobilitäts­wende brauchen wir mehr Menschen, die den ÖPNV und das Fahrrad nutzen sowie zu Fuß gehen. Kurzum – Für eine Mobilitäts­wende brauchen wir alle!

Das Thema Verhaltens­änderung rückt immer mehr in den Fokus kommunaler Akteure, denn der erste Schritt ist es, den öffentlichen Verkehr und die Radverkehrs­infra­struktur auszubauen, der zweite aber, dass Menschen die Infra­struktur so oft wie möglich nutzen. Die Frage ist deshalb, wie neue Mobilitäts­gewohn­heiten angereizt werden können. Wie erreicht eine Kommune, dass ÖPNV, Fahrrad und das zu Fuß Gehen bei den Bürger*innen an erster Stelle stehen? Oder dass gleich ganz auf einen Weg verzichtet wird?

Die Möglichkeiten für Kommunen sind fast unbegrenzt: Ob Bürger*innen eine Prämie für die Abmeldung des Privat­autos bezahlt wird, Menschen individuell beraten werden, wie sie den Umwelt­verbund auf ihren Alltags­wegen am besten nutzen können, oder ob man Apps nutzt, die für jeden geradelten Kilometer Punkte vergeben: Kommunen können auf viele unter­schiedliche Instrumente zurückgreifen, um ein nachhaltiges Mobilitäts­verhalten zu fördern. Zwölf inter­nationale Beispiele mit neuen Ansätzen regen zum Ausprobieren und Nachahmen an.

Fahrradfahren ist doch nur was für schönes Wetter! Wirklich? Guck mal nach Rotterdam!

Alle fahren Fahrrad? In den Niederlanden gehört das Fahrradfahren zum Alltag – bei Wind und Wetter, also auch bei Regen. Damit die Radler*innen schneller ins Trockene kommen, hat sich die Stadt Rotterdam etwas ausgedacht: Regensensoren.

Bei Regen erhalten Radfahrende und zu Fuß Gehende häufige und lange Grünphasen, so dass sie nicht lange an Kreuzungen warten müssen. Sie haben damit dem Autoverkehr gegenüber Vorrang. Die Sensoren wurden erstmals 2016 eingebaut. Seitdem motivieren sie mehr und mehr Radfahrende, sich auch bei Regen auf den Sattel zu schwingen. Das belegen aktuelle Zähldaten. Und die Maßnahme ist günstig. Ein Regensensor kostet lediglich 200 Euro.

 

Beteiligte Akteure: Stadt Rotterdam
Kosten: 200 € pro Regensensor
Wirkung: Zunahme des Radverkehrsanteils um jährlich 4 %; inzwischen werden weitere Sensoren an den Ampeln verbaut, um flexibel aktive Mobilität zu bevorrechtigen.

Platz (ist) da – Tausche Auto gegen Mobilitäts­prämie

Im Schnitt steht das Privatauto 23 Stunden am Tag still – häufig im öffentlichen Straßen­raum. Es blockiert dort wertvolle Flächen. „Das muss doch auch anders gehen“ dachte man sich in der Stadt Marburg. Ihre Antwort: Die Einführung einer Mobilitätsprämie.

Wird das Auto abgemeldet, erhalten Bürger*innen eine Prämie von bis zu 1.250 Euro. Die Prämie kann flexibel für CarSharing, für Fahrten mit Bus und Bahn oder für Gutscheine im lokalen Einzel­handel und der Gastronomie genutzt werden – ganz nach den Bedürfnissen und Vorlieben der Marburger*innen. Und auch die Stadt hat etwas davon. Auf den freigewordenen Park­plätzen können Baumscheiben angelegt oder Radverkehrs­infrastruktur gebaut werden. So schafft Marburg Platz für mehr Grün und nachhaltige Mobilität.

Beteiligte Akteure: Universitäts­stadt Marburg, Stadtmarketing Marburg e.V., Stadtwerke Consult Marburg GmbH, Scouter Carsharing GmbH
Kosten: zunächst werden 150.000 Euro im kommunalen Haushalt für die Mobilitätsprämie vorgesehen
Wirkung: Das Projekt läuft seit Juni 2024, bisher gibt es noch keine Ergebnisse.

Nachhaltige Mobilität fördern – In Wien kinderleicht!

Aktive Mobilität macht Spaß – das lernen in Wien schon die Kleinsten. Die Mobilitäts­agentur Wien stellt für unterschiedliche Alters­klassen kostenfreie Unterrichts­materialien zur Verfügung, mit denen die Kinder spielerisch an nach­haltige Mobilität heran­geführt werden. Wettbewerbe und Auszeichnungen motivieren zum Ausprobieren und Mitmachen. Vom Klassen­zimmer auf die Straße kann es so zum Beispiel auch ganz praktisch heißen „Gehe jeden Tag 5.000 Schritte“. Lehr­kräfte können die Materialien flexibel in ihren Unterricht integrieren.

Und das zeigt nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern Wirkung. Insgesamt sind inzwischen weniger Eltern­taxen vor den Schulen Wiens zu sehen – statt­dessen wird nun (gemeinsam) zur Schule geradelt oder zu Fuß gegangen.

Beteiligte Akteure: Mobilitäts­agentur Wien, Bildungs­direktion Wien
Kosten: 500.000 Euro pro Jahr
Wirkung: Pro Jahr werden mit dem Programm bis zu ein Drittel aller Grund­schul­kinder Wiens erreicht.

Nächster Halt: Zuhause

Im Dunkeln von der Bushalte­stelle nach Hause laufen: Allein schon der Gedanke daran löst vor allem bei Frauen Unbehagen aus. Und so wird das Busfahren am Abend oder in der Nacht ganz gemieden. Dabei fährt der Bus oftmals genau dort lang, wo man hinmöchte. Nur eine Bushalte­stelle gibt es nicht. Das hat Madrid zum Anlass genommen, auf inzwischen 40 Nacht­bus­linien Bedarfs­halte einzuführen.

Fahrgäste können den Busfahrer oder die Busfahrerin über ihren Halte­wunsch informieren. Liegt dieser auf der Strecke, kann flexibel und unabhängig von Bushalte­stellen ausgestiegen werden. Der Heimweg verkürzt sich dadurch zum Teil erheblich – kein Wunder also, dass das Angebot inzwischen von immer mehr Personen genutzt wird. Für Kommunen und Verkehrs­betriebe außerdem wichtig: während sich die Sicherheit und Attraktivität des ÖPNV erhöht, entstehen keine zusätzlichen Kosten.

 

Beteiligte Akteure: Stadt Madrid, Verkehrs­betriebe
Kosten: 0 Euro
Wirkung: In den ersten 2,5 Jahren gab es 16.000 Halte­anfragen.

Ich mach mir die App, wie sie mir gefällt!

In der Nachbarschaft Jätkäsaari in Helsinki wurden die Bürger*innen selbst aktiv – und das im doppelten Sinn. Gemeinsam entwickelten sie eine App, die zu mehr Bewegung im Alltag motiviert. Für jede Strecke, die mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt wurde, konnten Punkte gesammelt werden. Das Besondere: Wie genau die Challenges aussehen und wofür Punkte gesammelt werden können, entschieden die Bürger*innen gemeinsam mit der Kommune und den App-Entwickler*innen.

Und wie profitierte die Stadt Helsinki davon? Über die App wurden Daten zum Mobilitäts­verhalten der Nutzer*innen gesammelt. Diese Daten werden genutzt, um die Mobilitäts­planung vor Ort weiter zu verbessern.

Beteiligte Akteure: das Projekt wurde in mehreren Städten umgesetzt; Für Helsinki: Forum Virium Helsinki, PUSH
Kosten: k.A. für Helsinki; gesamtes Förder­volumen für Umsetzung in sechs Nachbar­schaften europaweit 4 Mio. Euro
Wirkung: Die Nutzer*innen konnten ihren ökologischen Fußabdruck während der Laufzeit im Durchschnitt um 32 % des CO2-Äquivalents verringern.

Es geht (oder fährt sich) auch anders – Durch Mobilitäts­beratungen nach­haltige Alternativen erlebbar machen

Bevor es aus der Tür raus geht noch schnell der Griff zum Auto­schlüssel – oftmals ohne groß darüber nachzudenken. Dabei lassen sich die meisten Ziele auch gut mit Bus, Bahn, mit dem Fahrrad oder zu Fuß erreichen. Doch Gewohnheiten sind zäh. Alter­nativen im Alltag häufig nicht so präsent. Genau hier setzt das Programm Your Move an.

In eins-zu-eins Beratungs­situationen sprechen die Bürger*innen West Australiens über ihre Mobilitäts­gewohnheiten und -bedürfnisse. Hierauf abgestimmt werden individuelle Reise­pläne erstellt, durch die Bus, Bahn, Fahrrad und das zu Fuß Gehen stärker in den Alltag integriert werden. Sogenannte „Coaches“ unterstützen bei der Umsetzung der selbst­gesteckten Ziele.

Beteiligte Akteure: Government of Western Australia – Department of Transport, Kommunen, lokale Unternehmen, lokale Schulen
Kosten:
Cockburn: 4 Mio. AU$ Förderung durch Department of Transport
Bassendean: 840.000 AU$ Förderung durch Department of Transport
Wanneroo: 2,4 Mio. AU$ Förderung durch Department of Transport
Wirkung:
Cockburn: Teilnehmende bewegten sich im Schnitt gut 10 Minuten pro Tag mehr als vor dem Programm.
Wannerroo: 5,5 % weniger Autofahrten pro Teilnehmer*in.

Drei auf einen Streich! In Barcelona können Punkte für nachhaltiges Mobilitäts­verhalten erspielt werden

Mit FutureMob hat die Metropolregion Barcelona ihre Bürger*innen im wahrsten Sinne des Wortes heraus-gefordert. Die Idee: Drei Challenges über je 30 Tage mit jeweils drei verschiedenen Schwer­punkten. Bei der „Healthy lifestyle“ Challenge konnten Bürger*innen Punkte für jeden Kilometer sammeln, den sie mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegten. „Move smart“ brachte Punkte für Fahrten mit dem ÖPNV. Und bei der abschließenden Challenge „Local shopping“ gab es Punkte für Einkäufe im lokalen Einzel­handel. Hier war also für jede*n was dabei!

Je mehr Punkte gesammelt wurden, desto höher die Platzierung im Ranking. Gleich­zeitig landete man mit den gesammelten Punkten auch automatisch im Lostopf. Verlost wurden unter­schiedlichste Preise vom Fahrrad­helm bis hin zu Schuhen gesponsert vom Schuh­geschäft um die Ecke.

Beteiligte Akteure: Metropolregion Barcelona, Stadt Debrecen, Ciclogreen, Lobelia Earth, Connected Mobility Hub, Zone Cluster, Carnet
Kosten: 401.413 Euro (für Barcelona und Debrecen)
Wirkung: Durch den Umstieg auf den Umweltverbund konnten die Teilnehmenden insgesamt 12.938 kg CO2 sparen.

Mobil unterwegs – das geht auch ohne eigenes Auto

Für die meisten Autobesitzer*innen gilt: Es geht nicht direkt ums Auto, sondern ums mobil sein. In der Stadt ist genau das auch ohne Privatwagen für viele möglich! Um dies in Brüssel erlebbar zu machen, hat die Kommune sich etwas überlegt: Melden Bewohner*innen ihr Auto ab, erhalten sie eine Mobilitätsprämie von bis zu 900 Euro, die sie unter anderem für Fahrten mit dem ÖPNV, Bikesharing- oder Carsharing-Angebote oder für den Kauf eines Fahrrads nutzen können.

Und genau das machen immer mehr Brüsseler*innen!

Beteiligte Akteure: Brussels Environment, Bruxelles mobilite, Pro Velo, Paradigm
Kosten: 2 Mio. Euro für 1,5 Jahre (2022-2023)
Wirkung: In 2022 wurde die Prämie an 2.092 Haushalte ausgezahlt.

Geradelte Kilometer zahlen sich aus!

Fürs Fahrradfahren Geld bekommen? Klingt fast zu schön, um wahr zu sein – aber nur fast, denn in Florenz ist genau das möglich! Von Juni 2024 bis Juni 2025 können Bewohner*innen der Stadt ihre Fahrradfahrten aufzeichnen. Bis zu 20 Cent erhalten sie pro geradeltem Kilometer von der Kommune, maximal 30 Euro im Monat. Ob sie mit Lastenfahrrad, Pedelec oder konventionellem Fahrrad unterwegs sind, spielt dabei keine Rolle.

Insbesondere für Wege zur Arbeit oder zur Ausbildung sollen die Bürger*innen so motiviert werden, öfter in die Pedale zu treten.

Beteiligte Akteure: Stadt Florenz
Kosten: k. A.
Wirkung: Das Projekt läuft seit Juni 2024, bisher gibt es noch keine Informationen zu den Ergebnissen.

Weniger ist (manchmal) mehr – zumindest, wenn es darum geht, den ÖPNV zu Stoßzeiten zu entlasten

Mit Bus und Bahn unterwegs zu sein ist nicht nur nachhaltig, sondern oftmals sogar schneller und günstiger. Mitunter kann es allerdings auch ganz schön voll sein. Und das wiederum wirkt sich negativ auf die Attraktivität des ÖPNV aus. Ziel vieler Städte ist es daher, das Fahrgast­aufkommen zu Stoß­zeiten zu entzerren. Singapur macht vor, wie dies gelingen kann: Pro gefahrenem Kilometer mit dem ÖPNV erhalten Nutzer*innen zu Stoßzeiten einen Punkt, außerhalb der Stoß­zeiten drei Punkte. Hierfür muss lediglich mit dem digitalen Ticket ein- und ausgecheckt werden. Die Punkte werden auto­matisch gut­geschrieben und können schließlich online für ein Gewinn­spiel um kleine Geld­beträge eingesetzt werden.

Die Prämie ist also nicht nur für die Attraktivität des ÖPNV in der Stadt ein Gewinn!

Beteiligte Akteure: Urban Engines, Land and Transport Authority of Singapore, Ministry of Transport
Kosten: k. A.
Wirkung: 1/3 der Pendler*innen in Singapur nahmen teil.

Die Stadt neu entdecken – und nebenbei das zu Fuß Gehen fördern

Das Handy gezückt und schon ist man mittendrin – denn bei Walk Your City wird die Stadt Graz zum Spielfeld! Nutzer*innen können die App nicht nur zum Navigieren nutzen, sondern werden auch auf interessante Orte in ihrer Umgebung aufmerksam gemacht. Ein integrierter Schritt­zähler ermöglicht es, eigene Tages­ziele zu verfolgen und sich mit anderen zu Fuß Gehenden zu messen. Und für wen das noch nicht Motivation genug ist, der oder die bekommt über die App Push-Benachrichtigungen zu den gesund­heitlichen und umwelt­bezogenen Vorteilen des zu Fuß Gehens.

Also Schuhe geschnürt und los geht’s!

Beteiligte Akteure: Y-Verkehrs­planung, Managerie e.U., ovos media GmbH, Universität für Weiter­bildung Krems, Karl-Franzens-Universität Graz
Kosten: 500.000 Euro
Wirkung: Durch die Nutzung waren die Teilnehmer*innen täglich im Schnitt 68 Minuten zu Fuß unterwegs (vorher 54 Minuten).

Komm, ich nehm' Dich mit! Durch Fahr­gemeinschaften zu weniger Autoverkehr

Zum Arbeitsort kommen müssen (fast) alle – hierfür das Privatauto nutzen aber nicht! Diese Überlegung ist Ausgangs­punkt der App Hytch. Nutzer*innen können über die App Fahr­gemeinschaften organisieren oder ihre Fahrten mit dem ÖPNV aufzeichnen. Hierfür werden je nach Verkehrs­mittel, Tages­zeit und bei Fahr­gemeinschaften Anzahl der Mitfahrer*innen Geld­beträge ausgezahlt. Um Mobilitäts­gewohnheiten lang­fristig zu verändern, erhalten die Nutzer*innen außerdem regel­mäßig Nachrichten und Informationen zum Einfluss ihres Mobilitäts­verhaltens direkt aufs Smart­phone – so können sie zum Beispiel direkt nach­voll­ziehen, wie viel CO2 gespart wird, wenn sie sich zu einer Fahr­gemeinschaft zusammentun. Wenn das mal nicht motivierend ist.

Und für Kommunen? Sie können die in der App gesammelten Mobilitätsdaten für eine verbesserte Mobilitätsplanung nutzen.

Beteiligte Akteure: Hytch, Department of Transportation Tennessee
Kosten: 1 Mio. US Dollar, Förderung durch Department of Transportation für Auszahlung der Prämien
Wirkung: k. A.

Now to something completely different: Anreize für ein anderes Mobilitäts­verhalten!

Regensensoren

Rotterdam, Niederlande

Abmeldeprämie

Marburg, Deutschland

Die Stadt & Du

Wien, Österreich

Bedarfshalte

Madrid, Spanien

Mobility Urban Values

Helsinki, Finnland

Your Move

West-Australien

FutureMob

Barcelona, Spanien

Brussel’s Air Premium

Brüssel, Belgien

Pedala Firenze

Florenz, Italien

Incentives for Singapore’s Commuters

Singapur

Walk Your City

Graz, Österreich

Hytch

Tennessee, USA